Das Lagerdenken beiseite sind der Tweet Thunbergs — in stark gefüllten Zügen auf den Boden sitzend— und die Antwort der Deutschen Bahn AG — dass das so nicht stimmt — insbesondere ein Beispiel dafür, dass die Unwahrscheinlichkeit erfolgreicher Kommunikation und/oder anders gemäßigter Kom. unter dem Dogma der Vereinfachung oder hier der Verkürzung (weiter) leidet. Dass die Unwahrscheinlichkeit und damit das Aneinander-Vorbeireden sogar zunehmen — u. a. durch Twitter. Der Kurznachrichtendienst ist Instrument, aber auch eine den Kom.-Stil seiner Nutzer mit-prägende, gar verzerrende Größe. Oder er scheint ein (in diesem Zusammenhang) falsch gewähltes Medium für konstruktive Dialoge angesichts komplexer Problemlagen. Ein Plädoyer auch für mehr Komplexität, vordergründig aber für mehr Wissen zum Umgang mit Medien.
Die Bahn und Greta Thunberg polarisieren, jeder für sich: zukunftsweisendes, egalitäres, umweltfreundliches Verkehrsmittel vs. konzeptloser, semi-stattlicher Konzern ohne bemerkbare Optimierung; Idol und Symbol dringend notwendigen Wandels vs. inhaltlose, spaltende, überbewertete Kunstfigur usw. »Wer nicht für mich ist, ist gegen mich« — und das allerseits. Hier geht es nicht darum eine dieser Positionen zu ergreifen oder zu verteidigen. Es bleibt hier nicht Zeit, sie in einen Konsens zu verwandeln. Vielmehr geht es darum, warum die angerissenen Positionen eine mehr oder minder offensichtliche Radikalisierung oder zumindest Härte in sich tragen. Und wie das damit verbundene Aneinandervorbeireden — wenn man denn wollte — gemindert werden kann.
Radikalität als Nebenprodukt unserer Gegenwart …
Die geringe, aber in vielen Debatten unserer Gegenwart zu beobachtende Kompromissbereitschaft kommt nicht von ungefähr. Sie ist Resultat und — das ist wichtig — Instrument zugleich: Ein Feindbild stärkt das Innere einer Bewegung, überbrückt (oft nur dem Anschein nach und nur für begrenzte Zeit) innere Konflikte. Es — das Feindbild — wird also bisweilen sogar intern gefördert: »Die Anderen tun und machen …« Andererseits oder zusätzlich können entsprechende Klischees extern begünstigt werden — eben, indem man auf externe Kritik mit pauschaler Ablehnung aller darin vorgebrachten Argumente reagiert, also quasi auf Grund des empfundenen oder tatsächlichen Druckes von außen. Welcher dann wiederum auch in der Qualität der Kritik begründet ist. Qualität heißt hier »Art und Weise« — Kritik kann zum Beispiel fundiert sein, sachlich begründet sowie konstruktiv. Oder sie ist plump bzw. in diesem Fall so plump wie das Kritisierte: Soll heißen, es entsteht des Öfteren eine Art von Spirale. Ein ähnlicher Ton — vom Kritisierten, über die Kritik bis hin zu weiteren Entgegnungen. Dabei wird er — der Ton — immer schärfer.
Ein jeder kennt dergleichen in kleinerem Maßstab: Zwei Freunde, beide Fans der [div. Menschengruppen beleidigenden] Band XX und deren Shirt tragend, streiten sich. Eine dritte Person kommt hinzu und greift den Geschmack der beiden an [— inhaltlich und in der Tonality dem radikalen Tenor der Liedertext entsprechend ≈ vielleicht, weil man denkt, so die gleiche Sprache zu sprechen, die beiden besser zu erreichen, tiefer zu verletzten oder sich unbewusst auf ein ähnliches Niveau begibt, »hineingezogen« wird]. Da ist der Konflikt zw. den Freunden (zunächst) vergessen, gar jedes nun kommende Argument des dritten, warum die Musik der favorisierten Gruppe nichts tauge, bedeutungslos geworden bzw. wird gemeinsam abgewehrt oder entsprechend zurückgekeilt. Darauf gibt es dann eine noch heftigere Antwort … usw.
Es scheint also egal, was man macht … ob man sich im Tenor auf das Niveau begibt oder nicht, also auf der höher gelegenen Straße bleibt oder nicht … Aber es wäre zu pessimistisch, in Hoffnungslosigkeit zu verfallen. Dieses Beispiel verweist jedoch auf den Umstand, dass Kommunikation alles andere als einfach ist: Sie alle kennen sicherlich diverse Missverständnisse. Erfolg (was auch immer man darunter versteht) und/oder eine für Herausforderungen und/oder für demokratischen Konsens so wichtig Ausgeglichenheit (um über verschiedene Konzepte oder Menschengruppen und ihre Interessen hinaus Verständnis und einen Dialog herzustellen) sind also Ausnahmen. Es gibt aber begünstigende Methoden bzw. schon das Wissen um kommunikative Mechanismen kann einen diesbezüglichen Beitrag leisten …
Freiheit
Aus der Erfahrung des Autors dieses Blogs heraus ist geringe Kompromissbereitschaft aber vor allem von zwei Faktoren bestimmt — von Freiheit und Komplexität: Das ist keine Absage an das hohe Privileg von Freiheit, sondern schlicht ein Verweis auf ein in gewissen Rahmen damit einhergehendes Phänomen: In einer freiheitlichen Gesellschaft kann sich ein jeder äußern, darf und soll es sogar. Die Grenze zw. fundierter bzw. gemäßigter Streitkultur, die die Meinung des anderen akzeptiert oder zumindest toleriert, damit nicht verteufelt, die sich bemüht, nicht rundherum zu beleidigen oder zu persönlich zu werden, ist in einer eher unbedachten Auslegung von Freiheit bisweilen sehr schnell überschritten. Nochmal, das heißt nicht, dass Freiheit irgendwelche willkürlichen Grenzen verpasst werden sollten. Denn es gibt ja schon dergleichen bzw. eine wohl durchdachte, wenn auch abstrakte Form: Meinungsfreiheit hört auf, wenn andere beleidigt bzw. in ihrer Freiheit eingegrenzt werden.
Vielmehr geht es hier also darum, in Bezug auf Kommunikation und Medien, ein Mehr an Selbstreflexion anzuregen, um diese Grenze zu erkennen. Oder sogar das Spiel mit dieser Grenze zu identifizieren und welche Rolle Nutzer und Medien dabei bzw. darin spielen: So ist es ja ein beliebtes Mittel von populistischer Kräften, sich selbst um die eigene freiheitliche Meinung und etwaigen Respekt betrogen zu sehen, während man andererseits ungeniert die Grenze anderen gegenüber bzw. anderer verletzt. Und gleichsam schmettert man gegen »die Medien« und nutzt selbige selbst bis zum Exzess …
Komplexität
Mit einer freiheitlichen Gesellschaft geht eine wachsende Komplexität einher oder besser gesagt, der Eindruck, sie sei komplexer denn je oder — quasi als Steigerung — kompliziert oder chaotisch. Früher gab es eben nur zwei Kanäle im Fernsehen oder die eine große Zeitung, die man im Briefkasten vorfinden konnte. Nun gibt es viele Meinungen, die der eignen auch mal widersprechen. Dann sind da noch die spezifischen Angebote für ebenso spezifische Interessengruppen oder besser für Menschengruppen, die sich einst in Angesicht des vermeintlichen Konsenses einer oder der Gesellschaft verstecken mussten. Dahingehende Beispiele liegen auf der Hand.
Vermeintlich war es früher also einfacher. Vermeintlich deshalb, weil, wie ja gerade schon gesagt, oft das, was es angeblich früher nicht gab, nur unterdrückt oder ignoriert wurde. So wurde Menschen nicht nur aus irgendwie definierten — »so war es halt schon immer« — Gründen ausgegrenzt, über bestimmte Formen (etwa sexueller) Verbrechen wurden einfach nicht gesprochen, über den Völkermord »am anderen Ende« der Welt wurde einfach mal gar nichts berichtet. Jetzt nun prallt all dies auf einen ein und der oder die eine sehnt sich nach früheren Zeiten — oft ohne die damit einhergehenden, für zahlreiche Menschen oder gesellschaftliche Probleme fatalen Einschränkungen bedacht zu haben.
… oder das, was wir dafür halten.
Nichtsdestotrotz ist die Reaktion auf die plötzlich wahrnehmbare bzw. wahrgenommene Komplexität oft die Vereinfachung oder sich an diejenigen zu wenden, die Vereinfachungen anbieten. Vereinfachungen sind damit nicht unbedingt etwas Schlechtes. Stichwort wäre hier etwa überstrapazierter »Wissenschafts-Sprech«, der oft mehr oder minder bewusst eine breitere Zugänglichkeit verwehrt. … Auch Greta selbst ist eine Form der Vereinfachung — sie macht sich oder lässt sich zur Symbolfigur stilisieren: Wie jeder der sich mit Erzählen intensiver auseinandersetzt weiß, sind solche Figuren oder Personifizierungen in gewissem Grade notwendig, zumindest können sie hilfreich sein — und das nicht nur in Bezug auf Märchen, Filme etc., sondern auch um Informationen zu vermitteln (wie gesagt, dass wird in Wissenschaft und Bildung oft vergessen). Sie können — »können«, nicht müssen — Sachverhalte zugänglicher machen.
Es gibt aber diesbezüglich eine Grenze bzw. es gilt, Abwägungsfragen zu beantworten. Oder gleich anders gesagt, nicht immer ist es überhaupt sinnvoll, zu vereinfachen. Ein Sachverhalt wird damit nicht unbedingt verständlicher, sondern — aus Erfahrung des Autors dieses Blogbeitrags — regelmäßig verzerrt. Das werden wir konkret auf die Tweets bezogen noch sehen. Vor allem die anverwandte Strategie des Verkürzens ist in diesem Zusammenhang problematisch — eben auch im Zuge der Eigenarten Twitters und/oder der Folgen von Populismus.
Dabei — um solch Vereinfachungen im Populismus zum Funktionieren zu bringen — sind oft »die Anderen« Schuld. Gerade in einer sehr auf eine Figur bezogenen Rhetorik ist dann schnell die (langfristig oft spaltende, statt für das Ansinnen zusammenbringende) Rede von »die da« und »wir«. Zudem: Jede Komplexität ignorierend wird der Eindruck einer Kette erzeugt … In der es auf den ersten Blick einen klaren Schuldigen gibt. Auf den ersten Blick meint eine weitere Vereinfachung: Diese Feinde sind eindeutig und auch nicht — »Die da …!« … Agitatoren wissen (bedauerlicherweise), dass der Feind nicht zu genau definiert werden darf. Andernfalls könnte ja noch leichter (als es bisweilen ohnehin ist) überprüft werden, dass hinter etwaigen Stereotypen nicht viel steckt …
So bedauerlich es zudem scheint, so ein Denken ist Ausdruck eines beliebten, ja für Menschen geradezu allgenwertigen Konzeptes — nämlich dem von Kausalität: Diese funktioniert im Kleinen hervorragend — Lichtschalter gedrückt, Licht an. Es regnet, man wird (oder könnte es:) nass (werden). Eine Softwareschulung kann sehr wahrscheinlich die Bedienung derselben bei den Teilnehmenden verbessern.
In größerer Dimension aber funktioniert das nicht und dennoch halten sich entsprechende Klischees — auch in Bezug auf Kommunikation: »Die Medien manipulieren!« oder »Werbung geht an mir vorbei!« sind ebenbürtig problematische Aussagen. Denn man spricht am Montag über den sonntäglichen Tatort. Dann scheint es besonders viel Terrorismus zu geben, weil gerade alle — von Journalisten bis zu den persönlichen Freunden — über das Thema sprechen … Hier werden also durchaus mediale Wirkungen sicht- und hörbar.
Und übrigens auch, dass neben klassischen Medien Menschen Medien sein können ≈ die Freunde/das Umfeld. Aber von »Übermannung« kann keine Rede sein: Filme und Werbung scheitern regelmäßig — etwaiger Datenverarbeitung (≈ Big Data) zum Trotz, die doch den Erfolg eines Produktes begünstigen sollte. Und umgekehrt, also ohne wissenschaftlichen Hintergrund: Mehr oder minder durchdacht angewandte Emotionalität, beinahe Unbeherrschtheit und ebenso mehr oder weniger bedachtes Chaos und Widersprüche kreieren Figuren, die gegen jede Vernunft von ihren Anhängern als charismatisch, als einer von ihnen wahrgenommen werden. So arbeitet ja der Populismus bzw. derartige Persönlichkeiten lassen sich öfter nun auch wieder in unserer Gegenwart beobachten.
Theoretisch finden Teile der skizzierten Überlegungen im Konstruktivismus oder in der Systemtheorie eine Entsprechung: In diesen Konzepten geht man davon aus, dass Wirklichkeit etwas Konstruiertes ist. Jeder Mensch für sich bzw. in gewisser Weise in soziale Gruppen wird Wirklichkeit, werden Wirklichkeiten erzeugt — sehr selektiv (bewusst und unterbewusst) wird diese Information zugelassen, die andere nicht usw. Genauso werden Vorstellungen vom jeweiligen Außen eines/des eigenen Systems mehr oder minder kreiert. Der Mensch ist selbst ein System und an vielen System beteiligt — jeder kennt das: Zuhause verhält man sich anders als im Büro oder unter alten Freunden usw.
Analog zum »Tun und Machen« eines angeblichen, klischeehaft-stereotypen Feindes taugen die Medien also nicht zum pauschalen Sündenbock. Auch Twitter nicht: Zwar »nötigt« Twitter eine gewisse Kommunikation auf — durch die Länge der Tweets zum Beispiel. Aber der Nutzer wird nicht gezwungen, den Dienst zu gebrauchen. Zudem gibt es — wie später noch behandelt — Wege, die Kürze der Meldungen zu relativieren, die Message zu erweitern. Wer also in der Hoffnung hier seine Abneigung gegen die sogenannten (über 25 Jahren bisweilen alten) Neuen Medien bestätigt zu finden, diesen Artikel aufgerufen hat, muss enttäuscht werden.
Die Medien sind schuld …
…wäre ein der Vereinfachungen, um die es hier geht, die aber im Sinne eines fundierten Dialogs (über Medien/im Sinne von Medienbildung) überdacht werden müssen. Denn auf Medien trifft das zu, was oben mit einem »Zugleich« beschrieben wurde — Medien sind Spiegel und Einflussfaktor zugleich. Ein kleiner und hoffentlich anschaulicher Exkurs kann zeigen, was das meint: Ist das Sofa in der Sitcom Abbildung unsere Welt oder ihr Vorgänger? Haben »die« das Wohnzimmer auf der Bühne eingerichtet, wie die unseren, damit wir uns mit den Serienfiguren identifizieren? Oder haben wir im Laufe der Zeit unsere Wohnzimmer immer mehr danach gestaltet, was wir dort — auf dem Flimmerkasten — sehen?
Jedenfalls: Das dortige Sitzmöbel (das in der Fiktion) ist uns zugewandt. Sheldon und Co. agieren, sodass das Publikum im Studio und wir alles (die Handlung) nachvollziehen können. Sheldon und Co. schauen ggf. auf den Fernseher in ihrem Zimmer. Beides, das TV-Gerät in der Big-Bang-Fiktion und das reale Aufzeichnungspublikum, befinden sich quasi an Position der Kameras, die die Sitcom einfangen. Und diese Kameras entsprechen dann dem unsrigen Fenster zu dieser anderen (fiktionalen) Welt, unserem TV-Gerät im realen (dem Aufzeichnungsraum zeitlich nachgeordneten) Raum. Also: Im »realen« Raum sitzen wir auf unserem Sofa und betrachten durch den Fernseher Sheldons Wohnzimmer, welcher auf den fiktionalen TV schielt — schauen Sie (oder er) uns an oder wir sie (bzw. ihn)?
Wir brauchen hier nicht in Paranoia zu verfallen oder das Beispiel als kindisch abwerten, müssen uns aber sehr wohl und noch einmal klar machen, dass Kausalität, das angerissene Ursache-Wirkung-Denken, hinsichtlich Kommunikation schnell an Grenzen stößt: Was war zuerst da? Das lässt sich nicht so einfach bestimmen … Auch wenn dies in Teilen ein philosophisches Gedankenexperiment ist, so zeigt das Beispiel doch, dass nicht immer alles eindeutig geklärt werden kann. Und noch wichtiger, es zeigt, dass wir auf Medien Einfluss nehmen und sie auch auf uns. Wir sind ihnen nicht ausgeliefert, wir können sie nutzen. Aber natürlich nutzen sie auch uns (wie gesagt philosophisch, selbstverständlich sind Medien keine Lebewesen und doch führen sie durchaus eine Art Eigenleben). Dieses Verständnis schließt das konstruktivistische bzw. systemische Denken nicht aus, es wird vielmehr um eine netzwerkartige Auslegung ergänzt.
Und an dieser Stelle wollen wir nicht doch noch einen Stereotypen bedienen. Hinter Medien stecken natürlich Interessen — von kommerziell orientierten Eigentümern bis zu um Gerechtigkeit und Aufklärung bemühten Journalisten oder Künstlern. Auch hier ist mehr Vielfältigkeit und sind oft ganze Volumen von Faktoren am Werk, die durch ein »Die-da« nicht abgebildet werden. Insofern ist es besser von Netzwerken zu sprechen, statt von Ketten. Das alles ist ein Grund, warum der Erfolg von Kommunikation — im Sinne von »zwei Partner verstehen, warum es geht« — unwahrscheinlich ist. Ein Beispiel dazu aus der Sitcom Friends: »—What does your favorite animal say about you? —You mean behind my back?«
Ein anderer Fall wäre, wenn Sie gar nicht wollen, dass Ihr Gegenüber alles richtig versteht, aber dennoch macht, was sich wollen — da wären wir wieder bei Klischees und Auslassungen, um zu motivieren, ohne einen Sachverhalt in seiner Komplexität abzubilden. Nicht sehr von Sozialkompetenz kündend! Und wenn Ihnen auch das nicht als Gegenargument (gegen ein Zuviel an Auslassungen oder Verkürzungen) reicht, so sei darauf verweisen, dass so (der Meinung des Autors dieses Blog nach) Probleme unserer Zeit nicht erkannt und wohl auch nicht gut gelöst werden können.
… oder diejenigen, die sie nutzen: Die Wahrheit liegt dazwischen
Was heißt das nun konkret im vorliegenden Fall? — Eine kurze Deutung der Tweets bzw. zuvor, was eigentlich im Dezember 2019 passiert ist: Thunberg bzw. ihr Team verschicken ein Foto der jungen Frau, auf dem Boden in einem Zug der Bahn sitzend, und ergänzen, dass Greta auf dem Heimweg von der Klimakonferenz in Madrid sei, eben auch durch Deutschland. Sie sei in (über-)vollen Zügen der Bahn unterwegs, ist das Bild unterschrieben. Die Bahn reagiert und stellt dar, dass Greta auf anderen Teilen ihrer bzw. dieser Reise, also im Rahmen vom Umsteigen, durchaus einen Sitzplatz, auch in Deutschland, hatte. Und dieser sogar in der 1. Klasse lag, ihr zudem der Service derselben zuteil wurde, man sich dort um sie bemüht habe.
Nehmen wir die beiden ersten Tweets auseinander — chronologisch, angefangen also mit Thunbergs:
Ziele Ihrer Message bzw. der ihres Teams:
- natürlich durch das serielle Moment immer wieder sich selbst, also Thunberg (als Symbolfigur) und natürlich ihre Ziele, Aufmerksamkeit, ggf. einen Wandel in der globalen Umweltpolitik etc. zu erreichen, in Erinnerung zu rufen ≈ serielles Erzählen zur Festigung von Zielen/einer Marke.
- Dann soll Greta als »eine von euch«, ihrer Anhänger inszeniert werden: Sie sitzt auf den Boden wie wohl viele Ihrer jugendlichen Anhänger — ganz unprätentiös ≈ alles für das große Ganze. Beinahe lehrbuch-gemäß — der Konvention, wie man in der westlichen Welt Progression darstellt — blickt sie der Zukunft entgegen und damit nach rechts aus dem Bild. Es gehört durchaus auch — das muss hier (noch einmal) gesagt werden — in den oft fragwürdigen, und zwar Komplexität reduzierenden Zusammenhang, Symbolfiguren zu kreieren. Damit ist keine pauschale Wertung beabsichtigt – Vorbilder habe ja eine lange Tradition bzw. der Glaube an ihre Reichwerte. Doch: Mit solch einer Person wird — gewollt oder nicht (so die Meinung des Autors dieses Blogs) — von der Komplexität des eigentlichen Vorhabens oder Problems bisweilen zu stark abgelenkt. Zudem besteht die Gefahr, dass es (— die »Mission« —) schließlich ohne sie oder allgemeiner eine Figur nicht mehr funktioniert.
- Zuletzt ist da noch der, wenn auch nur indirekte, aber doch den Schlagabtausch initiierende Seitenhieb auf die Bahn — mit folgender mehr oder minder impliziter Aussage: Die Bahn erfülle gegenwärtig und womöglich auch zukünftig nicht die Bedürfnisse der Reisenden. Und schon gar nicht ihre klimaschutz-bezüglichen Beförderungspotentiale …
Was dabei ausgelassen wird:
- Greta musste nur einen Teil der Reise auf dem Boden verbringen, ihre »Leiden« hielt sich also in Grenzen — wohl auch, weil sie natürlich nicht alleine reist.
- Greta reiste in der 1. Klasse, was sicherlich ausgelassen wurde, um die Nähe zu ihren Followern oder besser ihre Nahbarkeit nicht zu riskieren. Dennoch kann ihr die Wahl der 1. Klasse, angesichts ihres Arbeitspensums und ihrer Bekanntheit, sicherlich nicht pauschal verübelt werden. Aber durchaus süffisant wäre anzumerken, dass eine Reise in der 1. Klasse einen höheren CO2-Ausstoß verursacht denn in der 2.. Schließlich finden weniger Riesende in den Wagen der 1. Klasse einen Platz — so ließe sich zumindest in einigen Kommentaren nachlesen. Das mag kleinkariert sein, allerdings ist es auch eine — durch die PR-Abteilung Thunbergs wohl einkalkulierte und vielleicht aus deshalb unterschlagene Information in Antizipation einer — Reaktion (im Sinne plumpen »Gleiches mit Gleichem«) auf die oft sehr ideologisierte und moralisch aufgeladene Diskussion um das Reisen bzw. das Bedürfnis, beinahe allen Reisenden ein schlechtes Gewissen zu verpassen. Insgesamt wird, als (etwas entferntere) Ergänzung, dabei auch vergessen, dass globale Probleme ein globales Verständnis erfordern und damit das Reisen, nicht nur mit der Bahn, in diesem Zusammenhang ein wichtiges Instrumente ist, Einblick in die Welt anderer Menschen zu erhalten und damit die Wahrscheinlichkeit zu erhöhen, globale Problem zu lösen.
- »Verzichten müssen immer nur die anderen«, ließe sich provokant ergänzen — und nicht nur auf das Reisen bezogen. Denn natürlich ist das Internet, eines der Instrumente zur Organisation der Umweltaktivisten und Publikationsort der hier thematisierten Tweets, einer der größten Energieverbraucher. Und die mehr oder minder umweltfreundliche Einweg- bzw. ›To-go‹-Verpackung (vor Greta auf dem Zugboden), je nach Foto mal sichtbar, mal nicht, sparen wir gleich aus.
Und nun zur Bahn und ihrem Antwort-Tweet:
Ziele der Massage:
- Aus Sicht der Bahn Gerechtigkeit herstellen/Frust Ausdruck verleihen: »So war es nicht!« Dabei wird eine Falschdarstellung, zumindest eine Überzeichnung durch Thunberg und ihr Team zumindest impliziert oder kritisiert. Wie so häufig in unserer Zeit (nach Erfahrung des Autors dieses Blogs) wird hier natürlich ein Denken in zwei Maßen offensichtlich: Denn die Bahn ›operiert‹ ja selbst, was Geschick und Informationsgehalt bzw. Medienwahl (hier ja Twitter) angeht, nicht wirklich anderes denn Greta und ihr Team. Ein Angriff auf eine Symbolfigur ist zudem nicht wirklich geschickt, da deren (bisweilen Popstar ähnliche, quasi-religiöse) Aufladung zum oben beschriebenen Abwehrreflex bei Anhängern führen kann. Obschon hier immerhin ein freundlicher Grundton durch die Vertreter der Bahn gewahrt wurde.
- Dass man trotz dieses Umstands — das Auf-dem-Boden-Sitzen bzw. das dazugehörige Foto —bemüht um seine Kunden ist und weiß, dass nicht alles optimal ist, sich die Lage aber verbessert oder man eine Verbesserung anstrebt …
- Mehr oder minder mitgeführt: Dass es in der 1. Klasse selbst ohne Sitzplatz nicht so schlimm ist bei Überfüllung. (Ob das geschickt ist?)
- Dass man sich ja eigentlich mit den Idealen Thunbergs (zudienst in PR-Hinsicht) verbunden fühlt. Gekoppelt an die implizite Forderung: Mit Freunden sollte (von ihr) anders (also positiver) umgegangen werden … Vielleicht hatte man gar gehofft, sich mit etwaigen Solidaritätsbekundungen aus etwaigen Schusslinien langfristig hinausbewegen (gleich dazu mehr) und auf einer ›grünen Welle‹ mitreiten zu können.
Was die Bahn auslässt:
- Dass eine durchaus bahn-typische Panne Auslöser (nicht Ursache — siehe Ziele Thunbergs) des Fotos war: Zugausfälle, technische Störungen etc. Reisende kennen das. Vielleicht wird im frustrierten Tenor dann doch sichtbar mitgeführt, dass diese Problemlage weiterhin, womöglich auch aufgrund der zuletzt öffentlich gewordenen Probleme in der Konzernstruktur und der dortigen Selbstbedienungsmentalität, nicht in den Griff zu bekommen ist. Man aber (und das ist ja durchaus aus nicht ausgelassen, sondern im Bahn-Tweet offenbar geworden) auf dahingehend Kritik gereizt reagiert, sie vielleicht »nicht mehr hören kann« ≈ dünne Haut in der Konzern-Kommunikation oder unter den Mitarbeitenden.
- Bei aller Umwelt-Solidarität wird ausgelassen, dass die Bahn ein Betreiber u.a. beachtlicher LKW-Flotten ist und etwaige Umladepunkte — von der Straße auf die Schiene — in den letzten Jahren geschlossen hat … Es also mit der Nähe zu Thunberg tatsächlich nicht immer so weit her ist.
- Dass der sicherlich bemühte Service um Greta auch (aber sicherlich nicht nur) mit ihrer Prominenz zusammenhängt. Normalerweise ist der Verlust einer Reservierung, weil der entsprechende Zug ausfällt, im Grunde durch den Bahnkunden »runterzuschlucken«. Vielleicht wäre es hinsichtlich PR hier besser gewesen, zu ergänzen »mit gewohnter« oder »all unseren Kunden zuteilwerdender Bemühung« – aber vermutlich reichte der Platz im Tweet dafür nicht.
- Weniger eine Auslassung denn ein kommunikatives Problem: Zwar wird hier im Blog-Text sehr automatisch und gar personifizierend von »der Bahn« geschrieben. Sie ist natürlich ein (über-)komplexer Konzern und wahrscheinlich im vorliegenden Twitter-»Dialog« nur eine von vielen Abteilungen aktiv gewesen. Aber in Bezug auf Frau Thunberg wurde bereits deutlich, welche Kraft (auch in der PR) Symbolfiguren entfalten können. Klar, ein Ronald McDonald der Bahn wäre gewagt, aber ähnlich Apple etwa müsste die Bahn das »die Bahn« stärker und konkreter aufladen — wofür der Konzern nämlich steht ist angesichts eines Öko-Image-Versuchs, dann des Abbaus regionaler Verbindungen, in Anbetracht von Prestigeprojekten wie Hochgeschwindigkeitsstrecken in dichten Siedlungsraum, usw. nicht wirklich klar.
Provoziert über Twitter, Aufmerksamkeit verbucht ≈ alles richtig gemacht …
Betrachtet man die zahlreichen Reaktionen auf den Schlagabtausch haben beide Parteien Twitter eigentlich ganz hervorragend genutzt. Nämlich, in dem sie das, was hier als Vereinfachung oder ‑Kürzung bezeichnet wurde, als (mehr oder minder bewussten) Cliffhanger genutzt haben. Der Begriff stammt aus dem Komplex des bereits erwähnten seriellen Erzählens. Auch eine Erzählweise, die wie die Medien selbst oft eine undifferenzierte Schelte erfahren hat — weil Serien angeblich pauschal stumpfsinnig wiederholen oder ein stetes Dranbleiben erreichen wollen, was natürlich kommerziell bestimmt ist. Mit Serie wie Breaking Bad, Game of Thrones oder Babylon Berlin hat sich diese Sichtweise partiell gewandelt. Ohnehin ist das serielle Erzählen auch in vielen Werken der Weltliteratur oder von Autoren selbiger genutzt worden. Aber das führt hier zu weit. Wer mehr über serielles Erzählen, am Beispiel des Fernsehens, erfahren will, sollte sich den Sammelband/das Buch »Vier Typen seriellen Erzählens im Fernsehen …« zu legen.
In jedem Fall kann der Cliffhanger, über die Ungewissheit des An-der-Klippe-Hängens des geliebten Heldens hinaus, eine Provokation oder eine bewusste Auslassung sein — man weiß nicht, wie es weiter geht, die veränderte Lage stellt alles in Frage. Man muss dran bleiben — hier bis zum nächsten Tweet als Form von Folge oder man muss sich intensiver mit dem Sachverhalt beschäftigen. Oder (je nach ambivalenten Ansinnen sogar idealer) die Leser lassen sich von der kurzen Aussage so aufbauschen, dass sie die Botschaft gleich teilen, ohne ihren Kontext überprüft zu haben — wiederrum für die Reichweite des Accounts und einer Marke bzw. das schnelle Herausstechen auf dem schnelllebigen Rauschen unserer Zeit zuträglich. Einhergehend, mehr oder minder als Nebeneffekt im genannten Schlagabtausch, werden die eigenen Interessen oder Problemlagen — etwa, dass die Bahn eben mehr (politische) Unterstützung bräuchte, sie über ihre Ausrichtung nicht m Klaren zu sein scheint — wieder einmal mehr oder weniger deutlich betont oder am Rande mitgeführt …
… aber nicht für einen konstruktiven Austausch
Jedenfalls, je nach Definition von Erfolg: Ohne Kontext zu provozieren oder die Auslassung der Tweets zw. Thunberg und der Bahn können auch als Misserfolg — für beide Seiten — verstanden werden. Ob das nun von den beteiligten Parteien auch so gesehen, steht auf einem anderen Blatt. Die Gesamtmessage Thunbergs, etwaige Intransparenzen zu ihrem Team oder ihren Finanziers mal außer Acht, leidet womöglich, wenn man (und so hat es die Bahn bzw. die entsprechende Abteilung zur Öffentlichkeitsarbeit wohl gesehen) nur kritisiert — so implizit dies hier auch der Fall gewesen sein mag. Denn das zementiert nur die Haltung ihrer Gegner — wir haben den Mechanismus oben behandelt.
Der Klimawandel ist nun aber eine Aufgabe, die Kompromisse erfordert und einen Dialog mit allen. Beides kann natürlich gefährdet werden, wenn durchsickert, dass man in der 1. Klasse unterwegs ist. Die dahingehenden Deutungen oder das womöglich in der Verkürzung beabsichtigte Vermeiden bestimmter Bewertungen ebenfalls außer Acht, wird womöglich der Eindruck erzeugt, dass hier bzw. vielleicht nicht nur hier — so könnten es Gegner oder Skeptiker, gar Sympathisanten nachteilig für die Gesamtsache oder die Absichten Thunbergs auslegen — sehr selektiv, also sehr nach dem Motto »nur, was (für die eigene Agenda) passt«, von Thunberg und ihrem Team kommuniziert wird.
Und auch der Symbolcharakter, oben wurde auf seine Potentiale ›in Grenzen‹, verwiesen, erweist sich hier als partiell nachteilig. Thunbergs Tweet und seine Intentionen hätten auch als Bagatelle abgetan werden können — wirklich wichtig ist der Schlagabtausch nicht, noch hat er wirklich informativen Gehalt (zur Position und zum Charakter der Kontrahenten). So sieht es der Autor dieses Blog-Beitrags — bzw. die Defizite der Bahn und ihr angestrebtes Image bilden eine (nicht nur jedem Bahn-Kunden) bekannte Schere.
Wie bereits eingangs erwähnt wäre hier auch von nachgeordneten Medieninstanzen ein Verzicht auf einen Bericht zu diesen bzw. das Aufgreifen der Tweets (jedenfalls in der nun tatsächlichen Größenordnung) sinnvoll gewesen — wenngleich so etwas immer eine Gratwanderung bleibt. Andererseits zieht eine Symbolfigur derartiges — ein Beachten kleinster Regungen — geradezu auf sich — wenn man will die typische Büchse der Pandora auf Social-Media-Ebene: Das Kokettieren mit der Privatperson ist Segen und Fluch zugleich. Was wiederrum vom eigentlichen Anliegen ablenkt: Die ernüchternden Ergebnisse der Klimakonferenz in Madrid verschwanden — wohl kaum in Sinne Thunbergs oder angesichts der gewalltigen Umweltprobleme — alsbald von der »Bildfläche«.
Und die Bahn äußerst sich nicht nur datenschutztechnisch fragwürdig detailliert über die Reise eines ihrer Gäste, sondern zeigt sich ungeschickt dünnhäutig. Schließlich will sie — nicht zuletzt arg plakativ und recht einfallslos, könnte ergänzt werden — mit grünen Streifen an ihren Zügen auf ihr Engagement oder ihren Wert hinsichtlich des Themas »Umweltschutz« verweisen oder eine entsprechende Instanz sein. Gleichsam krankt sie aber an den immer gleichen Problemen: Ausfällen, Unpünktlichkeit — und dies auch im vorliegenden Fall. Bis — man könnte fast sage, »das war doch klar« — dergleichen natürlich alsbald ebenfalls durchrieselt oder dem insgesamt wenig strategisch kommunizierenden Konzern vorgeworfen wird. Gerade in Bezug auf das serielle Erzählen ist die »Nicht-Wahrnehmung« eines Cliffhangers der große Bruch mit einer oder der Serie. Wie im Fernsehen dann womöglich die Fortsetzung ausbleibt/nicht produziert wird, wäre es hier vielleicht aus Sicht der Bahn sinnvoll gewesen, auf Gretas Provokation nicht zu reagieren. Dann wäre dieser Vorfall bzw. »die Sache (für die Bahn) nicht nach hinten los gegangen«.
Mehr Kontext — zumindest anbieten — oder …
Eine weiterführende Beschäftigung mit — also auch allgemein, vom konkreten Fall gelöst — einem Sachverhalt oder einem Tweet durch die Lesenden kann passieren, muss leider nicht. Vielleicht hätte es dann (im Fall einer intensiveren Auseinandersetzung mit dem Sachverhalt) die Echauffierung über die beiden Tweets gar nicht erst gegeben. Wir haben ja allgemein festgehalten oder/und müssen ergänzen, dass auch ein Tweet nicht pauschal Erfolg haben muss. Hat dann aber doch der Tweet unsere Aufmerksamkeit auf sich gezogen, kann es passieren, (wiederrum) es muss aber nicht, dass wir uns intensiver mit dem eben der Kürze von Twitter geschuldeten Skizzenhaften auseinandersetzen. Auch deshalb wurde oben bereits darauf verwiesen, dass Twitter hier nicht als Sündenbock herhalten kann. Twitter gibt natürlich eine Gewisse Länge vor und fordert quasi auf, zu kürzen oder in diesem Fall etwas auszulassen. Aber ein solche Schuldzuschreibung wäre zu einfach, denn der oder die Twitter-Nutzer müssen sich ja nicht drauf beschränken. Sie könnten einen Link einfügen oder ein Foto samt Text für längere Statements. Oder eben Twitter nicht nutzen.
Wie bereits mehrfach angedeutet, es könnte eben auch Interesse der Twitter-Autoren sein, keine Klarheit herzustellen. Wobei dies allgemein verstanden werden soll und nicht den konkreten Parteien des Beispiels unterstellt wird. Im Sinne der bereits mehrfach erwähnten Herausforderungen unserer Zeit möchte der Autor dieses Blog-Eintrags aber auch darauf verweisen, dass es besser wäre, Sachverhalte für einen Dialog besser aufzubereiten und ihre Komplexität nicht unbedarft oder unbegrenzt zu reduzieren. Oft hilft es etwa zu ›reframen‹ — d.h., einen zunächst trockenen und/oder eben sehr komplex wirkenden Sachverhalt in eine Geschichte zu verpacken oder anschauliche Beispiele zu wählen.
»Genau das erreichen Symbolfiguren doch zum Beispiel!« Ja, aber es ist ein Mittelweg zu finden – zw. Vereinfachung, Kürzung und illustrativer Erzählung sowie der Aufbereitung von Komplexen. Oft wir behauptet, manch Aspekte könnten bestimmte Menschen nicht verstehen, also lassen wir das dann gleich auch. Zweifelslos ist Derartiges — diese Aufbereitung — zeitintensiv, erfordert Profis. Und weiterführend klar, damit wird Komplexität nicht oder wahrscheinlich nicht kinderleicht, aber doch besteht eine Chance, dass ein Komplex zugänglicher wird.
… mehr Reflexion wagen und trainieren.
Wir haben bereits drauf verwiesen, dass sehr kausales Denken nicht wirklich hilft, Kommunikation zu erfassen. Genauso haben wir darauf verwiesen, dass sie sich nicht in Gänze überwinden lässt. Insofern kann es selbst über die Kürze von Twitter hinweg gelingen, sich mit komplexen Sachverhalten in gebührender Weise zu beschäftigen, also mehr als die vorgegebene Zeichenmenge zu nutzen — etwa durch weitere, über einen Link abrufbare Informationen, die Sie etwa über Ihre Internetpräsenz bereitstellen. Auch das garantiert noch keine Auseinandersetzung mit den weiteren Infos, das haben wir ja bereits gesagt, erhöht sie jedoch. Diese Herangehensweise scheint zumindest idealer, als Infos nicht direkt zur Verfügung zu stellen und nur auf Eigenrecherche zu hoffen. Dennoch gilt der Erfahrungswert, dass mehr als die Hälfte der Nutzer eine Nachricht auch dann teilen, wenn sie nur die Überschrift gelesen haben. Und weitere bzw. Tweets sind ja kaum oder gar nicht länger als Überschriften. Es mag Ihr Ziel sein, auch ohne Reflexion durch den Nutzer eine hohe Reichweite zu erzeugen, aber ist das für Ihr eventuell relevantes Anliegen und/oder komplexen Sachverhalt immer sinnvoll?
Zurecht wird etwas in Usability und im Content Design darauf verweisen, die ›Brille des Nutzers‹ aufzusetzen. Das heißt, sich in seine Position zu versetzten und seinen Bedürfnissen gerecht zu werden. Das ist durchaus berechtigt und viel zu oft nicht der Fall, allerdings sollte auch gefragt werden, ob viele Nutzer nicht oder unzureichend im Umgang mit Medien und Kommunikation geschult sind. So fallen die Provokationen einiger Tweets auch bei seriösen bzw. professionalen Anbietern auf fruchtbaren Boden. Sie greifen die Aussagen auf, stellen sie zwar oft auch in einen konkreten Zusammenhang, sie ergänzen also, was ausgelassen wird. Aber — und das ist zweifelslos eine Gratwanderung, deren Bewertung hier nicht erfolgen kann — mit dem Aufgreifen wird die Nachwirkung verstärkt, weil eben auch andere Medien über den provokanten Komplex berichten.
Vielleicht kann es also sinnvoll sein, den Umgang mit Twitter als Nutzer oder Rezipient genauer zu hinterfragen — oder je nach Fall den Dienst sogar mal zu ignorieren (wie oben angedeutet). Zudem kann es hilfreich sein, dass Menschen jeden Alters Strategien erlernen, wie Sie selbst mit Kommunikation und Medien umgehen, wie sie und was sie teilen, wie sie selbst reagieren, was sie selbst posten …
Und wir sollten in diesem Zusammenhang auch die Provokation nicht grundsätzlich bewerten, also negativ. Gerade im künstlerischen Feld ist sie ein probates Mittel, um Diskussionen anzustoßen. Natürlich sind damit auch die Provokationen auf Twitter Anreger von Diskussionen. Und sei es nur, dass so der wahre Charakter einer Person offenbart und besprochen wird. Die im Künstlerischen zumindest theoretisch dazugehörende, und zwar sorgenvolle Beobachtung tendiert natürlich in besagten und implizierten Fällen zu von diversen Interessen und Zielsetzung unterwanderten Aussagen — etwa: Aufhetzen, um im eingangs beschriebenen Sinne die eigene Gruppierung oder die sie repräsentierende Figur zu stärken, eine kommerzielle Nachwirkung zu fördern …
Kurz zusammengefasst
Twitter ist — möchte man zumindest einen fundierten Dialog oder Austausch erreichen — nur ein mit Kontext — also z.B. Links — funktionierendes Medium, um komplexen Sachverhalten gerecht zu werden (wie gesagt, wenn man das denn möchte). Die provokante Note wird zwar ggf. auch dann fortbestehen, aber, über ein vielleicht oft zu viel erwartete Eigeninitiative hinaus, anhand eines Links mehr Hintergrund geboten. Ob dies gelingt, ist wie gesagt nicht garantiert. Nichts anzubieten jedoch führt eben zu jener Verkürzung, die in dem hier beispielhaften Schlagabtausch münden kann. Eine Konfrontation, die zumindest in einer Auslegung für alle Beteiligten nicht unbedingt vorteilhaft ist. Der Einsatz von Twitter ist und bleibt vor allem, der Kürze des Dienstes entsprechend, für Nachrichten sinnvoll, die zunächst keinen Kontext benötigen: »Straße XX gesperrt, bitte YY als Ausweichroute nutzen.«, »Großbrand in XX, Fenster und Türen geschlossen halten«. »Unterrichtsausfall …« Oder all jene die fragwüridge Verkürzungen nutzen wollen, nur um ihre Interessen durchzusetzen. Das Beispiel um den vorliegenden Dialog jedenfalls verweis auf die Relevanz auch für Rezipienten, sich mehr mit Kommmunikation und Medien auseinanderzusetzen.