Sie für sich Wissen: Immersion
Immersion
— Forschung in Theorie und Praxis
Das Fulldome-Medium
Immersion ist nicht nur ›da draußen‹, bei den sogenannten »immersiven Medien« zu finden. Klar, diese weisen immersive Eigenarten auf, die scheinbar über klassische Medien und die dortigen Erlebnisse hinausgehen. Tatsächlich aber ist Immersion allgegenwärtig. Wir können — mehr oder minder gewollt, mehr oder minder intensiv — in die »Welt« unseres täglichen Linienbusses eintauchen, die unseres Büros, aber auch die eines Hörspiels und einer VR-Brille … Immersion in einem weitgefasten Sinne zu verstehen, kann helfen, die Welt(en) um uns herum besser zu erfassen oder konkret zu gestalten.
Immersion? Wenn man will und kann und die Gestaltung passt — sicherlich …
Das im Zuge der Rezeption entstehende Phänomen des »Eintauchens« wird zunächst meist entsprechend bezeichneten Werken oder Produkten attestiert: virtuellen Brillensysteme oder 4D-Kinos und den dort bzw. auf den Geräten abspielbaren oder interaktiv zugänglichen Inhalten usw.
Immersion kann, sollte aber nicht pauschaul anhand eines multi-sensorisches Mehrs (gegenüber klassischeren Medien) definiert werden. Auch eine räumlich-linearperspektivische Illusion à la ›Holodeck‹ ist nur eine denkbare Form von Immersion. [S. H.]
Sie bieten in Relation zu klassischen Medien ein durchaus stärkeres Eintauchen — wenn man ein möglichst multi-sensorisches Erlebnis oder eine beinahe real-räumliche Illusion als Kriterium anlegt. Als Höhepunkt könnte dann wohl irgendwann das Holodeck angesehen werden oder Interfaces, die direkt räumliche Formate in unser Gehirn übertragen können. Insofern wird Immersion nicht zuletzt zu einem Begriff des Marketings, welcher neue Produkte und Erlebnisse als »innovativ« kennzeichnen soll. Folglich wird der Begriff meist weniger genutzt, Immersives in seiner komplexen Defintion weit über real-räumliche Illusionen hinaus zu beschreiben.
Es ist ein persönliche Frage, ob einen ein Buch mehr eintauchen lässt. Oder doch ein Fulldome-Film. Das ist übrigens kein Grund zur Wertung à la »Lies lieber mal ein Buch!«. Es ist einfach eine Präferenz. [S. H.]
Immersion lässt sich aber auch bzw. sie sollte aus einer wissenschaftlichen Perspektive weitgehender verstanden werden, und zwar insbesondere als subjektives bzw. persönliches Erlebnis.
So kann die Diegese und der Bann klassischer filmischer Welten oder von Büchern etc. selbstverständlich immersiv sein — dann in Sinne eines Eintauchens in die dortige Geschichte bzw. Welt. Visuell und in Bezug auf Vorstellungen wie »Kino-Look« und »cineastisch« (beides gibt es eigentlich nicht, lässt sich aber auf YouTube und Co. immer wieder als Schlagwort finden) sind es aspherische Weitwinkel-Objektive oder mit Anamorphoten gefilmte Imax- bzw. 70mm-Filme. Aber wir könnten sogar noch weiter gehen: Mehr oder weniger bewusst, mehr oder weniger freiwillig, mehr oder weniger intensiv »tauchen« wir ggf. in die Räume oder diversen Welten unseres Alltags ein — das Büro verlangt gewisse Regeln, die zuhause als zu steif empfunden werden würden usw. Ob dieses ein wirkliches Eintauchen oder eher eine kurzweilige Akzeptanz der (räumlichen und/oder narrativen) Situation ist, das muss, wie gesagt, als ein ›persönliches Ding‹ angesehen werden.
Immersion ist dort, wo etwas als immersiv empfunden wird. [S. H.]
Jedenfalls manchmal verschachelten sich die heterotopen Räume der Immersionserfahrungen oder wechseln einander ab, gehen ineinander über: Im Bus = ein Hörspiel — zw. »Seine-Umgebung-vergessen« oder ein Mischung aus den Eindrücken.
Fulldome-Frame, unprojiziert: über eine Halbkugel gestülpt bzw. in eine Hemisphäre projiziert kann ein linearperspektivisch ›korrekter‹ Eindruck entstehen — »breakFAST« (2011/12)
Das Fulldome-Medium
Um ein räumlich-illusorisches Involvement bemühen sich Menschen spätestens seit der Renaissance und bis heute anhaltend. Versuche den Film aus seiner rechteckigen Begrenzung, aus seinem Rahmen zu »befreien«, haben etwa zur erneuten Etablierung stereoskopischer 3D-Techniken und ‑Produkte geführt (wie schon einmal in den Fünziger und Siebziger Jahren des vorherigen Jahrhunderts).
Audiovisuelle Immersion ≈ ein Mehr an multi-sensorischem Eintauchen: 360° in die Horizontale und 180° in die Vertikale erstrecken sich das nahtlose Bild und oft auch die Ton-Systeme. Unter diesem »Dome«, der Kuppel, findet das Publikum seinen Platz.
Das Fulldome-Medium ermöglicht oder begünstigt (nicht mehr, aber auch nicht weniger — weil Immersion, wie oben gesehen, ein eher subjektives bzw. individuelles Phänomen ist) ein starkes Empfinden, im filmischen Raum, in der filmischen Welt zu sein — in einem räumlich-illusorischen Sinne. Statt ihr auf Mattscheibe oder Leinwand projiziert gegenüber zu sitzen, umgibt die halbkugelförmige Projektionsfläche und somit auch der Fulldome-Film nun seine Zuschauer.
Frei können die Zuschauer sich in den virtuellen, filmischen Räumen umsehen. Naturalistische Bildwelten werden dann linearperspektivisch korrekt dargestellt, als ob die Betrachtenden an einem anderen Ort, mit den Protagonisten in einem Raum zu sein scheinen.
Das Fulldome-Medium offeriert Gestaltenden und Rezipierenden eine neue Art des räumlichen Erzählens — sowohl auf audiovisueller als auch narrativer Ebene. [S. H.]
Die Teilnehmenden eines Dialogs können im Fulldome-Medium ad hoc dem Publikum gezeigt werden — selbst wenn das Gespräch von der einen zur anderen Seite eines Raums geführt wird. Schnitte und Einstellungen, aus denen die Szenerie im klassichen Film erst zusammengesetzt und durch den Zuschauer als solche verstanden werden muss, sind nicht notwendig.
Nicht nur die Aufgaben der Filmeschaffenden verschieben sich, auch der Status des Publikums wird im Fulldome-Dipositiv neu definiert. [S. H.]
Die Rezipienten werden mit ihren Sinnen, ihrer Augen- oder Kopfbewegung zu Mitgestaltern der filmischen Handlung — selbstständig können sie den Blick von einem Dialogpartner zum anderen wandern lassen, den Film durch ihren Blick schneiden.
Links: ein aus sechs Kameraaufnahmen zusammengesetztes — gestitchtes — Panorama; rechts: der daraus entstehende, unprojizierte Fulldome-Frame — »Habitat« (2013)
Gestaltung »unter der Kuppel«
Um für die Projektionstechnik geeignet zu sein, aber auch den neuen ästhetischen Eigenarten gerecht zu werden, müssen Fulldome-Filme speziell produziert werden — Realfilme etwa werden mit extremen Weitwinkel-Objektiven oder durch Multikamera-Rigs eingefangen bzw. mittlerweile anhand automatisierter Multikamera-Systeme. Gängige Spielstätten dieses neuen Mediums sind moderne Planetarien, sogenannte Mediendomes oder mobile Kuppeln. Fulldome-Werke funktionieren auch auf gängigen VR-Brillen.
Aber damit sind die Eigenarten des Fulldome-Mediums noch nicht erschöpft: Das »Abgehen« am Ende einer Szene muss anders gelöst werden, auch das Schneiden einer Szene kann nicht so erfolgen, wie es beim klassischen Filme, dem Frame, üblich ist.
Die Zahl von fulldome-kompatiblen Projektionseinrichtungen wächst weltweit stetig. Ebenso die Vielfältigkeit der Fulldome-Angebote: Neben traditionellen, und zwar astronomischen Inhalten werden auch Filme zu Themen aus Natur und Geschichte produziert. Zudem gibt es erste Spielfilmprojekte, Versuche interaktive Spiele in die Kuppel zu bringen. Und VJs nutzen sowohl die akustischen als auch visuellen Möglichkeiten des Domes für ihre Performances.
Publikationen
»Räumliche Serialität & Serialität im Raum: Narrative Potentiale im und des Urbanen — am Beispiel von Weimar« 2019
»Die Sechsfalt der Immersion:
Versuch der (diskursiver) Definition eines vielschichtigen Konzeptes«
»Fulldome vs. 16:9: Zu den Differenzen in Konzeption, Gestaltung und Produktion eines Spielfilms in der Kuppel und im klassischen Bildformat. Am Beispiel der Filmversionen von BREAKFAST.«
Vorträge
»Experimenting with a Mulitcamera Rig. Shooting Fulldome in Real Footage.
Challenges, Problems and Workflow«
FullDome Festival 2013,
Carl Zeiss Planetarium, Jena
»Fulldome vs. 16:9« (zur differenten Gestaltung und Konzeption von Fulldome und 16:9), »Koordinaten Festival der räumlichen Medien 2012«, FH Kiel
Projekte
»Liszt — Reimagined«
Kurzfilm: Fulldome (3k), Laufzeit: ca. 5 min.,
entstanden: 2010
»breakFAST«
Kurzfilm: 16:9 (SD), Fulldome (3k), Laufzeit: ca. 5 min., entstanden: 2011 u. 2012
»Fulldome Meme«
Musikvideo: Fulldome (3k), Laufzeit: ca. 30 sek., entstanden: 2013
»Habitat«
Film/Serie: 16:9 (HD), Fulldome (3k), Laufzeit: ca. 2x5 min., entstanden: 2013, Teil der Dissertation Hahns
»Fulldome erklärt«
Film: 16:9 (HD), Laufzeit: 5 min., 2014—17
Weitere Forschungsfelder
Klar, TV-Serien. Aber noch viel mehr: Das Serielle findet sich überall, es prägt uns und ist z. B. nutzbar im
Marketing …
Eine alte Erzähweise: überall zu beobachten, allerseits unterbewusst implementiert und damit einen gewissen Erfolg begünstigend.
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Dr. Sönke Hahn
Erfahrungsschatz: Über 10 Jahre als ausgezeichneter Filmemacher und Designer — u. a. prämiert mit »Red Dot«, »iF Design Award« und »German Design Award«
Hintergrundwissen: interdisziplinäre Doktorarbeit an der Bauhaus-Universität Weimar, wissenschaftliche Vorträge und Publikationen im Feld Kommunikation und Medien