Informatik soll ein Pflichtschulfach werden. Das ist eine gute Nachricht. Doch nach wie vor fehlt es an einem auch für das Fach »Informatik« notwendigen Überbau, dem Fach »Kommunikation«. Denn disziplin-übergreifende Herausforderungen unserer Zeit und Zukunft benötigen ebensolche Fähigkeiten. Darum und um weitere Gründe, warum junge Menschen (und nicht nur sie) dringend ein solches Fach benötigen, geht es im Folgenden. Ein Plädoyer für Kommunikationserziehung und damit für mehr Komplexität, mehr Demokratie und eine Neubewertung des Lehrens, für einen Fokus auch oder besonders auf Soft Skills.
Oft geht es in der Schule einerseits um die Vermittlung konkreter Fähigkeit und andererseits um eine Transferleistung, ein individuelles Wachsen an den div. Impulsen aus den verschiedenen Fächern. Doch vor einiger Zeit wurde mir eine Bemerkung zuteil, die diese Prämisse in Teilen in Zweifel zieht, zumindest ein Überdenken anregt: »Heute kann man alles im Internet lernen!«
In gewisser Weise ist das richtig – YouTube beispielsweise stellt ein Portfolio sehr gut gemachter Lernvideos bereit, denen es gelingt, selbst komplexe Sachverhalte anschaulich zu machen. Natürlich hat diese Wissensvermittlung Grenzen: So fehlt es oft über konkrete Probleme oder Themen hinweg an einem roten Faden, der mindestens als Struktur, gar als Erzählung einzelne Felder in ein Ganzes überführt oder den Komponenten einen übergreifenden Sinn verleiht. Und ja, Geschichten sind nicht nur was für Kinder, sondern auch erwachsene Schüler. Und Geschichten sind im Sinne individuellen oder lebenslangen Lernens (u. a. via YouTube) auch für Erwachsene äußerst wichtig.
Weiteren Stereotypen wie «Geschichten? Was für Kinder!«, die dem Begriff »Kommunikation« entgegengebracht werden, werden wir noch begegnen. Bereits hier sei gesagt: Es sind wohl auch solche Klischees, die die dringend notwendige Auseinandersetzung mit Kommunikation verhindern.
Nochmals zum YouTube-Beispiel: Zwar fehlt es auch in der derzeitigen Kommunikation- und Medienerziehung bzw. im Schulwesen an solch einer (fächerübergreifend) begleitenden, Transferleistungen begünstigenden Struktur, für welche ja gerade in diesem Beitrag ›geworben‹ werden soll. Aber auf sich alleine gestellt, ohne die kleinsten institutionalisierten Strukturen gelingen solche Transferleistungen noch sehr viel weniger!
Ein Klassiker ist es in diesem Zusammenhang zum Bespiel, Bücher zu Fachthemen in Eigeninitiative zu lesen und anzuwenden. Das ist natürlich erstmal großartig! Aber im Schulischen oder Universitären wird zumindest in Ansätzen versucht, Dinge (aus solchen Büchern) in einem weitgefassteren Sinne zu begreifen. Im Alleingang besteht die Gefahr, dass gerade Ratgeber wie Gesetze interpretiert werden und ein bisweilen sehr enges und nicht immer vorteilhaftes Korsett formen. Denn natürlich sind auch derartige Bücher oft nur Empfehlungen bzw. selbst bei wissenschaftlichen Fundament immer nur begrenzt Gültig (denn Wissen ist ja in einem steten Fluss und fast niemals 100-prozentig) und müssen mindestens eine Anpassung den konkreten Sachverhalt betreffend erfahren.
Nichtdestotrotz: Dieser Kommentar zeigt, viele Aspekte beinahe jeder beruflichen Profession lassen sich mittlerweile in der mehr oder minder soliden »Bibliothek Internet« erlernen. »Mehr oder minder« — denn dort tummeln sich vielleicht mehr als in einer regulären ›Bib‹ schwarze Schafe und Agitatoren. Diese nun verbreiten mal mehr mal minder offensichtlich auch extremistisches und damit ein Zusammenleben verschiedener Menschen gefährdendes Gedankengut. Um derartige Botschaften zu erkennen und um ein Zusammenleben, eine nicht-verletzende Streitkultur zu fördern, wäre ein stärkerer Fokus auf Soft Skills in der schulischen Erziehung erstrebenswert. Und eben auch, weil viel des konkreten Wissens, welches bisher an der Schule vermittelt wird, an anderer Stelle erworben werden kann (YouTube < Internet etc.). Mit einer Reduzierung traditioneller Aspekte würde mehr Zeit für die angedeuteten Skills im Lehrplan Platz finden. Im Fach »Kommunikation« würden, neben konkretem Wissen in Sachen Medien und Co. sowie etwaigen Fähigkeiten (etwa zur Gestaltung und Programmierung), vor allem ein kommunikations-bezogenes Denken und Handeln trainiert. Bzw. diese würden eben von den Schülern/Schülerinnen im Rahmen eines interdisziplinären Curriculums selbst definiert, sodass die jungen Menschen schließlich souveräner in die Welt gehen und uns allen ein gemeinsames Leben darin ermöglichen könnten …
Welche Vorteile damit noch verbunden sind, wird im Folgenden skizziert.
Nicht auf Transferleistung warten:
Das Fach Kommunikation
bringt zusammen, was zusammengehört
Und zwar die ohnehin erfolgende Medienbetrachtungen in folgenden Fächern:
- Deutsch — konkrete Medienformen: Romane, Journalismus … auf einer Metaebene: Narration, Formen wie Lyrik, Bericht, Kommentar …
- Politik — konkrete das duale System … auf einer Metaebene: politische Kommunikation …
- Kunst — zumindest in höheren Semestern: bildende Kunst, Film … + Gestaltungsgrundlagen, auf einer Metaebene: ästhetische Bildung
- Informatik — konkret Operating Systems, Interfaces … Metaebene: ›Blick hinter die Kulissen‹
- …
Warum ist solch eine Bündelung sinnvoll? Weil der, der Erfahrung des Autors dieses Beitrags nach verbreitete, Glaube an eine Transferleistung Kom. und Medien betreffend angesichts des jetzigen Lehrplans irrtümlich ist. Das soll hier nicht heißen, Transferleistungen seien unnötig, gar nicht oder nie zu erwarten. Ganz im Gegenteil geht es dem Autor diese Blogs ja um Transferleistung. Und Transferleistungen erfordern, Freiräume zu lassen, um individuellen Einstellungen und Bedürfnissen Raum zu lassen. Ein Zuviel an, nennen wir es, ›Rahmen‹ kann problematisch sein. Denn wenn ein Beispiel zu konkret ist, kann die Übertragung auf andere Sachverhalte fehlschlagen.
Aber und deshalb: Ebenfalls aus der Erfahrung des Autors dieses Beitrags braucht es Parameter, die dem Verinnerlichten oder in besagten Fächern Erfahrenem Struktur verleihen oder konkrete Beispiele begleiten. Man könnte auch sagen, es braucht einen roten Faden oder eine Erzählstruktur — über ein Fach hinweg! Und diese wiederum — das könnte die Stärke des Fachs »Kommunikation« werden — würde ein größeres Gesamtbild unserer zweifellos von Kommunikation und Medien bestimmten Welt liefern.
Ein Beispiel: Statt nur zu wissen, »Serie gibt es im Fernsehen.«, wie vielleicht im Fach Kunst kurz berührt, wäre nämlich die Erkenntnis erzeugbar, dass das serielle Erzählen unsere gesamte Welt prägt: Heute als Einzelwerk rezipierte Romane erschienen oft originär in Fortsetzungsform, Supermarkteinkäufe bzw. Franchises sind ihrer Serialität halber so erfolgreich und vereinfachen (bei aller berechtigen Kritik an einer möglichen Monotonie) unseren Alltag. Eine gekonnte Wiederholung (ein Mix aus stagnierender und progressiver Serialität) erscheint weniger langweilig und stattdessen spannend: von Goethe zur politischen Dramaturgie. Mit diesem weitgefassten Betrachten kann Bildung besser vermittelt werden: etwa durch einen Mix aus besagter stagnierender (also eher wiederholender) und progressiver (voranschreitender) Erzählung. Hingegen die mehr oder minder subtile, aber stete Betonung etwaiger einfacher Messages leider auch helfen kann, extremistisches oder populistisches Gedankengut zu festigen. Solche Agitation ist vielleicht auch deshalb so erfolgreich, weil man sich die hinter den Aussagen stehenden Erzählweise viel zu selten bewusst macht — solch ein Bewusstmachen könnte im Rahmen des Faches »Kommunikation« geschehen. Zudem würde dieses Fach die Möglichkeit bieten, den schon stereotypen Begriff »Medien« aufzubrechen und das in mindestens zweierlei Hinsicht …
Verständnisgewinn: Medien sind mehr als Funk und Fernsehen oder das Internet
Die Freunde, das soziale Umfeld, gar das Wohnviertel oder die uns umgebende Architektur — als das sind Formen von Medien, die mehr oder weniger bewusst unseren Alltag mitbestimmen. Ja, »mitbestimmten«, nicht durchweg prägen. Kommunikation betreffende Klischees müssen mit dem Fach »Kommunikation« angegangen werden – Klischees in Form dieser Ausrufe: »Medien manipulieren!« oder »Für Werbung bin ich nicht empfänglich.« Beides sind nichthaltbare Aussagen – weil schon jemandem die Tür aufzuhalten in diesem Sinne, in diesem inflationären Gebrauch eine Manipulation wäre. Dann nimmt natürlich unsere auch mit Werbung versehene Welt Einfluss auf jeden von uns — und sei es nur als Werbung, die vorgibt keine zu sein ≈ »Das Statussymbol für alle, die kein Statussymbol brauchen«.
Ja der Mensch selbst ist in gewisser Weise ein Medium: Manchmal wollen wir mehr oder weniger nur unserem Umfeld genügen; erfüllen, was man von uns erwartet. Insofern besteht er — der Mensch — gar aus div. Medien im Sinne von kulturellen Normen oder in bestimmten sozialen Gruppen verbreiteten Sitten. Mindestens ist er an zahlreichen Medien beteiligt – zuhause verhält man sich anders als auf der Arbeit, unter alten Freunden oder als im Kreis der Familie … Schon damit lässt sich so gar nicht halten von redaktionellen Medien wie Zeitungen oder Rundfunkanstalten oder von Werken komplexer Kollaboration (Film – Autoren, Regie, Kamera, Sounddesigner, DarstellerInnen) zu sprechen, als seien sie eine abstrakte Person: »Die da!«
Die Medien — das sind nicht ›die da‹, sondern immer wir.
Menschen machen Medien – Journalisten oder Designer sind idealerweise Profis ihres Faches und wollen wie jede andere Berufsgruppe eine entsprechende Anerkennung erfahren (dazu unten mehr). Die Macher von Medien, gar von Kunst sind also auch Teil der Gesellschaft oder eines Bereiches von ihr. Und wohl diese nicht zuletzt konstruktiv kritisieren.
Womit gleich ein weitere, oftmals kommunizierte Phrase entkräftet wird: Denn gleichsam gibt es nicht oder gab es nie die eine homogene Gesellschaft. Obschon Populisten immer suggerieren wollen, was verloren gegangen oder bedroht sei (auch dazu später mehr). Jedenfalls ist die Subjektivierung der Zusammenziehung wie »die Medien« eine Vereinfachung (unten dazu mehr), die der Komplexität der Weit einerseits und dem mündigen Umgang mit ihr anderseits nicht gerecht wird.
Und Medien funktionieren nur sehr selten so, wie es noch immer vorbereitet geglaubt wird: Die Übertragung von A (≈ Autor oder Sender) nach B (Empfänger) ist eine viel zu starke Vereinfachung. Diese beginnt sogleich zu bröckeln: Denn dazwischen befindet sich immer ein Medium – und sei es Luft, um akustische Informationen zu übertragen. Das Medium nimmt dabei Einfluss auf die Botschaft: Bei starkem Wind hört man nichts; bei Twitter muss man sich kurz halten usw. Was also bei B ankommt, ist schwerlich vorherzusehen und auszumachen. Und ob B die Message von A versteht, sie einfach ignoriert, weil ihm oder ihr die Aussage missfällt etc. — das steht auf einem anderen Blatt.
Insofern kann man gar nicht von einer Kette sprechen, wie das Bild des A—B‑Transportes zu suggerieren scheint. Vielmehr liegt immer ein System oder ein Netzwerk vor, wenn kommuniziert wird (anschauliche Vermittlung von Netztheorie, Systemtheorie ist daher erstrebenswert etc.): So ist die Couch in den div. beliebten Sitcoms zum in der seriellen Welt positionierten Fernseher hin ausgerichtet. An diesem Ort (dem Platz des TV-Gerätes) stehen nun die Kameras, die das Geschehen in unsere Räume bringen. Während wir auf der Couch sitzen. Ist die Couch bei uns Vorbild oder Abbild der Couch im Fernsehen? Wurde jene in der Serie der realen Welt nachempfunden, damit wir uns mit den Figuren auf der Mattscheibe identifizieren? Oder wurden unsere Wohnzimmer im Lauf der Zeit denen im Fernsehen angeglichen?
Statt Sündenbock »Medien«, Probleme bearbeiten
Ob die Couch im Fernsehen Abbild des Sitzmöbels in unserem Wohnzimmer ist oder umgekehrt, also deren Vorbild — die Wahrheit liegt irgendwo dazwischen. Das kann uns dieses philosophische Beispiel illustrieren bzw. zur Diskussion stellen — eben auch im Rahmen schulischen Unterrichts. Insofern liegt Kommunikation in vielen Fällen immer auch in der Verantwortung des Einzelnen, des sogenannten Empfängers oder Rezipienten und nicht nur des vereinfacht als Sender Verstandenen. Denn der Empfänger ist, wie im vorhergehenden Abschnitt behandelt, eben so gar keine passive Größe, die von »den Medien« übermannt werden kann: Im Grunde ist erfolgreiche Kommunikation nicht nur im Sinne eines linearen Verständnisses (A sendet etwas via Medien X an B) sehr, sehr unwahrscheinlich. Denn schon der Mensch ist ein komplexes Konstrukt — wie wir bereits ebenfalls zuvor angerissen haben. Das entlässt die Macher redaktionärer oder kollaborativer Medien nicht aus ihrer Verantwortung, sondern betont die ihre sogar. Aber dieser Umstand zeigt auch, dass wir angesichts des Grades von bereits möglicher (Inter-)Aktivität — insbesondere in Form Sozialer Medien — alle zu Medienmachenden avancieren, welche ebenso Mitverantwortung übernehmen müssen, etwa auch was Pöbeleien angeht.
Insofern sind — über das Beispiel der Couch hinaus — Medien Abbild und Spiegel zugleich. Das Internet ist damit weder pauschal demokratie-bringend noch ein Moloch der Verrohung. Und doch halten sich vereinfachende Sündenbock-Konzepte wie »Medien tun und machen!«. Wie gesagt Medien »nötigen« uns oft bestimmt Formen auf — verbale Sprache hat Grenzen, etwa im Erklären visueller Dinge; Twitter (wie gesagt) zwingt uns kurze (vielleicht manchmal zu kurze) Aussagen auf. (Aber wir müssen Twitter nicht nutzen und könnten auch ein Link zu einem ausführlichen Text posten.)
Auf das Internet einerseits und die markierte Aussage »in vielen Fällen« andererseits zurückkommend: Das vielfach thematisierte Mobbing im Netz wird oft allzu schnell dem Medium zugeordnet. Zunächst ist das Internet nur sehr schwer als ein distinktes Medium zu bestimmen, schließlich vereinen sich in ihm Bild, Ton, Video, Text usw. Dann: Ist das Mobbing vom Schulhof (vor Etablierung des Internet) nicht letztlich »nur« in das Netz verlagert oder darum erweitert worden? Wie gesagt, die Verantwortlich von Foren wie Facebook und Co. müssen soziale Umgangsformen durchsetzen bzw. Missbrauch ihrer Plattformen verhindern. Und natürlich sind die Opfer von Pöbeleien nicht schuld an dem Verachtenswerten, was sie erleiden müssen: Wenn Kommunikation auch oft netzwerkartig ist, so hat das »Alles-hängt-Zusammen« eben auch Grenzen. Ein wichtiger Diskussionsbereich, um über die Welt zu reflektieren … Zudem gibt es hier die Möglichkeit tatsächliche Probleme, also das Bedürfnis nach Pöbelei der Menschen zu untersuchen, statt die Schuld in einem Medium/einer Plattform zu suchen. Ebenso überwindbare und wenig hilfreiche Klischees in diesem Zusammenhang: »Digitale Medien machen dick!« ≈ Goethe in gedruckter Form bildet, auf dem Tablett macht er dick? Das ist wenig überzeugend.
Den unterbewussten Autopiloten erkennen
Medien — in einem klassischen Sinne wie auch oben erwähnte architektonische Formen — sind mehr oder minder menschengemacht: mal bewusst oder mal nicht. Weit mehr als die Hälfte aller Kommunikation ist non-verbal oder nicht inhaltsbezogen. Und doch heißt es bisweilen immer noch an Schulen und Universitäten, »konzentrieren Sie sich auf den Inhalt, die Gestaltung des Vortrages ist nicht so wirklich wichtig«. Natürlich ist eine multisensorische Aufbereitung regelmäßig sinnvoll, denn sie wirkt eben auch dort (in unserem Gehirn), wo Inhalt und Sprache nicht wahrgenommen werden. Damit hängt übrigens auch die immer noch geradezu stereotype, beinahe von Selbstüberschätzung kündende Ansicht zusammen, Emotionen und Verstand seien trennbare Größen.
Natürlich langweilen sich auch Hörer eines Vortrags, die vom Thema begeistert sind, wenn 45 Minuten lang, während eines Referats — statt einer Aufbereitung einzelner Aspekte, Zooms auf Details — das behandelte Gemälde ohne Veränderung an die Wand gebeamt wird. Andererseits müsste man sich über den mittlerweile inflationären Gebrauch des Begriffs »Emotion« unterhalten. War er früher gefühlt nur Star Trek-Fans bekannt, ist heute jede Pöbelei (im Fußball zum Beispiel) vermeintlich damit zu entschuldigen, das »es eine sehr emotionale Situation war«. Wenn auch Gefühle fester Bestandteil aller Menschen sind, so bleibt doch auch der Verstand eine Größe …
Zudem und in aller Kürze, aber eben mit dem Fach »Kommunikation« erlernbar: Eine Werk — ob Buch, Vortrag, Film, vielleicht die durchdachte Architektur eines Gebäudes — besteht, anschaulich dargestellt, aus Inhalt oder einer Geschichte UND der Art und Weise, wie das Werk strukturiert ist, wie es erzählt UND wie all dies audiovisuell Ausdruck findet (≈ Design etc.). Diese Komponenten formen mehr als die Summe ihrer Teile: Je nach persönlicher Präferenz (bewusst und unbewusst) können Sie uns multisensorisch erreichen, ohne dass wir genau sagen können, was uns bewegt. Übrigens ist dies auch ein Grund, warum Umfragen oft nicht genau Motive einzelner Menschen wiedergeben können.
Also wirkt vieles von Kommunikation im Unterbewusstsein und vieles, was wir selbst hervorbringen, entspringt diesem. Mit dem Fach »Kommunikation« kann es gelingen, diesen Autopiloten partiell aufzubrechen und in Teilen ins Bewusstsein zu bringen, was dort passiert. Damit erfährt man über sich selbst mehr, aber auch die Welt. So basiert der Erfolg von Verschwörungstheorien darauf, angebliche Muster erkannt zu haben, eben eine Verschwörung. Oft steckt hinter dem scheinbaren Entdecken nur eine überinterpretierte Mustererkennung. Blöd nur, dass uns Muster magisch anziehen, wir das aber oft nicht wissen (dazu mehr).
Es ist nicht immer kompliziert, aber stets komplex. Und doch machbar
Viele Stereotypen nicht nur Medien betreffend könnten mit dem Fach »Kommunikation« überwunden werden. Schließlich nützen solche Vereinfachung nicht wirklich, um die Welt tatsächlich besser zu verstehen oder handzuhaben: »Früher war es leichter/gab’s das nicht!« Diese verschobene Wahrnehmung ist einerseits ein verbreitetes menschliches Verhalten. Wir verklären die Vergangenheit immer mal. Die Vergangenheit ist ohnehin und gerade unser Gedächtnis betreffend nichts Konstantes, sondern ein je nach dem Veränderliches, das letzlich immer dem Moment entspringt.
Tatsächlich hat sich die Menge oder Anzahl von Medien vergrößert. Menschen, die kein Angebot fanden, unterdrückt wurden, werden nun konkret angesprochen oder können sich ausdrücken — soviel zu einstigen gesellschaftlichen Konsistenz (siehe oben). Was also früher ignoriert wurde — etwa das Geschehen in anderen Teilen der Welt oder was hierzulande zu unbequem war — ist nun ganz plötzlich präsent. Das mag manche Menschen überraschen und in Angst versetzten, sie zu besagten Aussagen drängen oder sie in die Arme von Anbietern vereinfachter Parolen drängen.
Mit dem Fach »Kommunikation« können die Hintergründe zu diesem Denken bewusst gemacht werden. Es könnten gar Komplexität und damit verbunden die — heute wie damals gegenwärtige (damals vielleicht nur ignorierte) —Präsenz von Graustufen verständlich und handhabbarer werden: Es könnten Brücken zwischen diversen Gesellschaftsbereichen gebaut werden, die im Zuge von freiheitlicher Entfaltung (und das ist selbstverständlich etwas Gutes) sichtbar werden, aber auch von einer gewissen Entfernung zu andere Bereichen künden.
Aber nicht nur die Komplexität von Problemen wird uns immer gegenwärtiger, statt ein zwei Nachrichtenanbieter gibt es nun diverse — auch in Form individueller, über Soziale Medien agierender Personen. Nicht immer sind alle diese Kommunikatoren seriös. Fake News etwa können oft nicht als solche entlarvt werden. Das kann das Resultat einer gut gemachten Fälschung sein, die den Eindruck erweckt, dass es sich bei ihr um Fakten handelt. Dann sind regelmäßig Korrelationen am Werk, die verzerrend genutzt werden: Der jährliche Speiseeiskonsum verläuft in einer Kurve, die beinahe deckungsgleich mit der Zahl der Haiangriffe ist: Wie hängt beides zusammen? Ist hier ein kausaler Zusammenhang auszumachen? Der verbindende Faktor ist womöglich der Sommer — Baden, Eis am Strand. Faktoren, die bewusst ausgelassen zu falschen Schlüssen führen können. Wohl auch weil wir kausale Konzepte so schätze, uns Muster — oft also nur vermeintliche — Einblick geben: »Eis macht dick und damit wird man vom Hai attackiert …«
Weil Kausalität im Kleinen jedoch regelmäßig gut funktioniert — Lichtschalter drücken, Licht an —, hält sich wohl auch das Klischee, man könne einfach so von A nach B kommunizieren. Viel zu oft ist das Unvermögen, Fake News zu deuten, darauf zurückzuführen, dass Signale des Gefälschten nicht erkannt werden. Oft könnte das Ganze nämlich anhand des offenbar sehr subjektiven und hetzerischen Grundtons entlarvt werden. Dann sind Fake News so erfolgreich, weil es vielen Menschen an den Fähigkeiten fehlt, Angaben zu überprüfen oder andere Quellen heranzuziehen.
Hier sind nicht die sogenannten »alternativen Medien« gemeint — der Begriff ist ja zum Synonym für mehr oder minder unverhohlene Ausdrucksorgane extremer Gesinnung geworden. Hier ist gemeint, dass auch die Verantwortung jedes Einzelnen ist, sich ein umfassenderes Bild von einem Sachverhalt zu machen: Einfach zu sagen, »›Die da‹ haben mich betrogen!«, ist zu einfach, wenn man den Sachverhalt überprüfen könnte, mal selbst recherchiert hätte können usw. Wenn Sie dergleichen nicht glauben, sich aber nicht Beispiele aus Extremistenhand zumuten möchte, reicht schon ein Blick auf die Reaktionen zu Der Postillion-Beiträgen. Die Satire wird oft nicht als solche erkannt — insofern geht es hier und mit dem Fach »Kommunikation« um mehr als Fake News.
Komplexität besser handhaben
Komplexe Sachverhalt sollten auch aus politischer Perspektive nicht einfach als kompliziert deklariert werden. Oft wird dies mehr oder minder bewusst gemacht, damit man sie nicht erklären muss. Es ist notwendig, mehr zu erklären und transparent zu machen — das erfordert aber bestimmte Berufsgruppen und Profis (unten dazu mehr). So wäre es möglich, komplexe Themen zu »reframen« — d. h., sie via Geschichten oder anderer Faktoren zu erklären. Oft hilft es auch, gelungene Beispiele zu wählen: So kann die Serie Game of Thrones in gewisser Weise nutzbar sein, um menschliche oder konkreter politische Mechanismen zu erläutern — wenn dies auch in der Serie sehr düster geschieht.
Wenn wir schon bei einer TV-Serie sind: Das Serielle hatten wir bereits oben als Beispiel genutzt. Es lässt sich auch hier wieder anschaulich heranziehen: Denn würde man sich vom konkreten Fach (ggf. TV-Serien in Deutsch oder Kunst) befreien, könnte man sehen, dass gerade populistischen Politik via Twitter seriell operiert: Provokationen, die stets offen bleiben, einen Cliffhanger mitführen, sodass man dran bleibt oder damit die Nachwirkung der Nachricht gesteigert wird. Da aber viele Medienklischees wie »TV? Gucke ich nicht!«, »Ich habe keine TV!«, »Lies lieber ein Buch!« fortbestehen, sind solche Provokationen auch bei seriösen Anbietern erfolgreich, weil nämlich eine Transferleistung bei diesen Menschen ausbleibt: In einer Gratwanderung stellen die seriösen Anbieter zwar die Provokation oder Beleidigungen oder nicht-korrekten Angaben richtig, dabei verbreiten sie die Kernbotschaft leider auch.
Bisher verkannt: Kommunikation als Privileg und Werttreiber
In einem Zeitalter längerer Lebenserwartung, weniger Verkehrstote (natürlich ist jeder zu viel), mehr Sicherheit und eines langanhaltenden Friedens in Europa tendiert das Gewohnte zu einem Beiwerk. Etwaige Ängste — wohl unterbewusst, vom oben erwähnten, und zwar individuellen Autopiloten gesteuert oder weil es so »emotional« ist usw. — überlagern schnell, bei Jung und Alt, den Alltag. Gerade in diese Kerbe schlagen natürlich Populisten: »Früher war es besser!«, rufen oder den Medien Manipulation unterstellen, während man wohlwissentlich vor-freiheitliche Ideen zelebriert oder selbst Medien unentwegt einsetzt (z.B. sozial Formen). Insofern gilt es, an die Verantwortung des Einzelnen/der Einzelnen zu appellieren und selbige zu trainieren.
Und dann ist da noch das Problem mit den medialen Berufen. Heute kann ja jeder an leistungsstraken Endgeräten selbst zum Gestaltenden oder Filmemachenden werden. Das glauben viele zumindest. Meine Erfahrung lehrt etwas anderes: Einladungskarten stets zentriert gesetzt, weil das angeblich harmonisch wirkt; kaum korrekte Satzzeichen in textlichen Dokumenten; Lehrveranstaltung, die nicht fesseln usw. Kommunikation und Medien sind aber Berufe wie Jura, Medizin etc. Kommunikation ist nicht, wie zu atmen. Der Konstruktivist Paul Watzlawick hat zwar zurecht festgehalten, man könne nicht nicht kommunizieren. Die Nicht-Beantwortung eines Briefes ist bekanntlich auch eine Antwort.
Doch wie bereits gesehen, ist Kommunikation in der Verarbeitung als auch Gestaltung ein oft unterbewusster Prozess, sodass der Unterschied zw. — bewusster — Profession und nicht doch nach wie vor, bisweilen sogar stärken denn je auffällt. Insofern ist nicht nur eine Aufwertung etwaiger Berufe in Form von Respekt, wie ihn andere Berufsgruppen für sich einfordern, notwendig. Sondern auch im wirtschaftlichen Sinne: Kommunikation und Medien, Design oder Kunst sind bisweilen die entscheidenden Wertreiber. Denken Sie an den Konzern mit dem angebissenen Apfel im Logo: Er verkauft keine Computer, er verkauft (bei aller sinnvollen Kritik) ein bisweilen elitäres Lebensgefühl verbundenen mit Unkompliziertheit.
Der Erfahrung des Autors dies Blogs nach wird Design zum Beispiel immer noch als Verpackung verstanden, statt eine entsprechende Dimension von Anbeginn miteinzubeziehen. Auch auf einer kulturellen Ebene wäre hier schneller Handlungsbedarf wichtig, schließlich nehmen wir in Sachen milliardenschwerer Games, Kinofilme oder für ihre hochkulturelle Güte gepriesene TV-Serien eher eine nachgeordnete Rolle im internationalen Vergleich ein. Wenn sich hinsichtlich TV-Serien momentan auch einiges tut.
Nicht nur die Jungen: Kommunikation als Erwachsenenbildung
Fatal wäre es allerdings, die Notwendigkeit von Bildung in Sachen Kommunikation und Medien ausschließlich für junge Menschen zu fordern. Sicherlich ist es einfacher dort Grundlagenarbeit zu leisten — im Rahmen schulischer Bildung etwa. Genauso braucht es aber auch für Erwachsene ein entsprechendes Angebot: Denn auffällig ist es, dass gerade Erwachsene oft nicht von ihrem Smartphone lassen können; nicht reflektieren, wie sehr sie von dem Gerät in Beschlag genommen werden. Was, das sei nochmals gesagt, nicht heißt, die Medien verrohen pauschal. Es gilt, einen gesunden Umgang mit ihnen zu pflegen und zu erlernen.
Etwaige Klischees, die bereits mehrfach in diesem Beitrag erwähnt wurden, leisten diesbezüglich — auch das muss nochmals betont werden — einen kontraproduktiven Beitrag und sollten im Rahmen solch einer Fortbildung ebenfalls aufgebrochen werden: Medien sind weder gut noch schlecht. Sie weisen Eigenarten auf, haben eigene Reize. Es ist wichtig, sie alle einmal gestreift zu haben, um in der/einer Welt besser zurechtzukommen, eigene Präferenzen zu erkennen oder eben in einer gesunden Weise zu pflegen. So ist das Buch zwar historisch bedingt ein entscheidendes Medium innerhalb der westlichen Welt, aber die habituelle Überbetonnung des Mediums steht mehr im Weg, als sie bringt — zum Beispiel: Wer viel liest, kann sich ähnlich stark wie ein Gamer isolieren … Und selbstverständlich sollten auch Menschen jenseits eines Schulalters die Relevanz von Kommunikation im Alltag, als Wertreiber erkennen und erlernen können. Und sei es nur, damit sie auch in Zukunft gesellschaftlich teilhaben können.
Ob alsbald mit dem Fach Kommunikation zu rechnen ist?
Die ernüchternde Reaktion nach der Kontaktaufnahme mit den Kulturministerin von NRW, Hamburg, Schleswig-Holstein und Niedersachsen durch den Autor dieses Blogs 2017 und 2018 — sinngemäß und zusammengefasst: »Wir sind gut ausgestellt, wir haben Pilotprojekte!« — die Schreiben oft voller typografischer Fehler, »ich« am Briefanfang, falscher Anreden … Auwei.